Ruppertsburger Sagen und Legenden

Herausgesucht und zusammengestellt von Christina Diehl

Drei Reiter am Neuhof

Der Schäfer auf dem Neuhof bei Ruppertsburg sah alle Mittag drei Reiter am See daherspringen. Sie saßen auf Schimmeln, waren auch sonst weiß angetan, hatten aber alle drei keinen Kopf. Als ihm das Stücklein zu oft kam, rief er andere Leute herbei; aber sooft sie mit ihm gingen, und er es ihnen zeigte, sahen sie nichts, hörten auch keinen Hufschlag auf der Erde. Der arme Mann musste darüber viel leiden und ward ein alter Narr gescholten, dem, Gott weiß was, geträumt hatte, obgleich er steif und fest bei seiner Sache blieb und alles beschwören wollte. Weil es ihm aber doch gar zu gruselig war, gab er seinen Dienst auf und zog weg aus der Gegend.

Die Jungfrau auf den Hirschröder Wiesen

Nicht lange nach der Heuernte hütete ein Mann von Ruppertsburg auf den Hirschröder Wiesen, weiche nach Stornfels zu liegen. Unterdessen trieb er immer näher auf den Berg zu, an einen Platz, wo man es am Backöfchen" heißt, und es kam ihm so vor, als höre er drin ein Geräusch, ähnlich wie das Scharren mit dem Kratzeisen im Backtrog.
Unwillkürlich dachte er an Kuchen, und weil ihm das Maul danach wässerte, rief er: "Bringt mir auch einen Kuchen heraus." Kaum war das Wort über die Lippen, so tat sich schon der Berg auf; eine wunderschöne, weiße Jungfrau trat hervor mit einem Tischchen, das deckte sie mit einem neuen Tuche und legte darauf einen frischgebackenen, wohlriechenden Kuchen zugleich mit einem Gebund Schlüsselblumen.
Bei all diesem Tun sprach sie kein Wort, der Mann merkte aber, das sie es gern gehabt hätte, wenn er von dem Kuchen äße und die Schlüssel-blumen nähme. Das getraute er sich aber doch nicht zu tun, sondern ge-riet in höllische Ängste und wendete spornstreichs mit seinen Kühen wie-der um. Eine Zeitlang hörte er noch hinter sich wimmern und lamentieren. Als er sich umsah, hatte der Berg die weiße Jungfrau, deren Erlösungs-stunde nun auf weitere sieben Jahre hinausgerückt blieb, wieder aufge-nommen.

Der Riese im Bodenstrauch

Schulkinder aus Ruppertsburg suchten einmal Erdbeeren im Bodenstrauch, einem Walddistrikt, der ganz aus niedrigem Buschwerk besteht. Aus ihrem Tun wurden sie durch ein donnerähnliches Geräusch aufgeschreckt. Sie sahen sich um und wurden einen Mann gewahr, so groß wie ein Kirchturm, mit tellergroßen Augen und einer weißen Strumpfkappe auf dem Kopfe. Mit seinen Beinen stand er mitten in und über dem Walde. Er schrie laut in einem fort: " Helft mir, helft mir!" und blies auf einer großen Trompete. Man kann sich denken, wie es den Kindern zumute ward. Sie ließen alles stehen und liegen und kamen querfeldein mit Wehgeheule und Weinen zu ihren Eltern gelaufen.

Der schwarze Reiter ohne Kopf im Ried

Im See (Rieth) reitet zeitweise in der Geisterstunde ein schwarzer Reiter ohne Kopf. (Vor 1814 befanden sich zwischen Ruppertsburg und Villingen zwei Seen, ein großer und ein kleiner, die dann ausgetrocknet und zu Ackerland umgewandelt wurden.)

Die Geldfeuerchen auf der Gänseweide

Unterm Steinberg waren früher keine Häuser; sie wurden erst im vorigen Jahrhundert gebaut. Vorher war dort die Gänseweide. Manchmal sah man dort nachts kleine Lichterchen und Feuerchen. Wenn man diese stillschweigend auseinander machte, fand man am anderen Morgen Gold.

Anmerkung: Geld- oder Goldfeuerchen verlegt die Sage Immer an Tore. Wenn Ruppertsburg auch, keine Stadtmauer und kein Stadttor gehabt hat, so dürfte an der besagten Stelle doch der steile Zugang zum Dorf gewesen sein, den man in irgendeiner Weise sicherte.

Von der Wüstung Lauternbach

Rechts von der Straße nach Laubach, da wo heute der Aussiedlerhof von Hans-Joachim Lehr liegt, lag das schon im Mittelalter ausgegangene oder wüst gewordene Dörfchen Lauternbach. Vor Zeiten ging in einer mondhellen Nacht ein Laubacher Mann von Ruppertsburg nach Hause. Als e ' r an die Lauternbacher Acker gekommen war, sah er eine Gestalt über die Felder gehen, die einen schweren Stein auf der Schulter trug und bang fragte: "Wu setz ich en nur hii, wu setz ich en nur hii?" Der Laubacher aber hatte das Herz auf dem rechten Fleck und rief dem Unglücklichen zu: "EI tu en doch hii, wu den hergeholt host." - "Ach, do drof hu eich schun lang gewoart", rief da erleichtert der Wandernde. Damit war der FrevIer, der einst in seinem Leben Grenzsteine versetzt hatte und nun zur Strafe mit dem schweren Stein "wandern" musste, erlöst, und seitdem "wanerts" dort nicht mehr.

(Anmerkung: Offensichtlich hängt diese Sage eng zusammen mit den Jahrhundertealten Streitigkeiten zwischen Ruppertsburg und der Standesherrschaft um die Wüstung Lauternbach, die erst am 16. April 1857 in einem Vergleich endeten.)

Die steinernen Kreuze

(Erzählt von der damals 73-jährigen Marie Parr, einer Urgroßmutter von unserem heutigen (1983) Ortsvorsteher Willi Lind; sie war geboren 1840 und starb 1921.)

Da, wo jetzt das Gasthaus "Zur Kreuzburg" steht (1913; heute Hofreite Horst/Diehl am Kreuzplatz), war früher ein Steinberg. An diesem her ging ein Weg über den Steines nach dem Eisenberg. Auf diesem Steinberg am Steines standen die drei steinernen Kreuze, die jetzt ihren Platz bei der Kreuzburg haben. Als ich ein Mädchen von etwa 9 bis 10 Jahren war, brachte ich zusammen mit meiner Schwester meinem Vater das Abendessen zur Schäferhütte, denn mein Vater war damals Schäfer. Da begegnete uns auf dem genannten Wege ein Reiter, der so rasch und heftig dahergesprengt kam, dass das Feuer aus den Steinen kam. Er hatte eine rote Studentenkappe auf. Als wir dann an den Platz kamen, wo später* die Kreuze standen, erschraken wir, denn es kam noch ein Reiter daher, dessen Schritte man gar nicht hörte. Er war schwarz angezogen und hatte einen schwarzen Zylinder auf. Auch die Augen des Pferdes waren schwarz verschleiert. Er kam, ohne daß wir es hörten, auf dem Wege vom Henriettenhofe her, der damals sehr holperig war. Der erste Reiter war ein Jude und der zweite ein Pfarrer. Auf dem Steines soll nämlich ein Jude einen Pfarrer totgeschlagen haben. Sie zeigten sich an jenem Abend. Zur Erinnerung an den Totschlag hat man das eine Kreuz gesetzt.
Am Peßberg, unter den Brombeerhecken, liegt ein dicker Stein. Darunter soll eine Zigeunermutter ihr Kind lebendig begraben haben. Es soll beim Begraben "Au weh!" gerufen haben. Alle sieben Jahre ruft das Kind "Au weh!". Zum Andenken war ihm am Preßbergrain ein Kreuz gesetzt worden, das man später auch auf den Steines gebracht hat.
In dem letzten Hause nach dem Steinberg zu wohnte eine Frau, die ihr Kindchen in die Horloff geworfen hatte. Als man es heraus-fischte, öffnete man das Kästchen und da sagte ihr großer Sohn: "Ei das hat ja mein Halstuch um!". Nun war es offenbar, wem das Kind war. Die Kindsmör-derin wurde von der Polizei festgenommen und musste lange, lange Jahre im Gefängnis sitzen. Als sie dort aber plötzlich eine schwere Krankheit befiel, wurde sie nach Hause geschickt, wo sie bald danach starb. Zum Gedächtnis hat man dem Kind auch ein Kreuz gesetzt.

* (Anmerkung: Der Ausdruck "später" ist unverständlich, denn bereits 1683 im Schatzungsbuch und 1751 in den Flurkarten heißt es oberhalb des Steines Bei den steinernen Kreuzen'. Wie viele damals dort gestanden haben, ob zwei oder drei, weiß man nicht. Urkunden über diese Kreuze wurden bis heute nicht gefunden. Zwischen Gießen und dem Seltersberg sollte wegen eines Erschlagenen ein Steinkreuz gesetzt werden, wie dies aus einer Urkunde von 1348 Nov. 13 hervorgeht. Möglicherweise sind unsere Kreuze auch schon aus dieser Zeit.)

Unterirdischer Gang

Etwa 50 m unterhalb der ehemaligen Mühle, dem jetzigen Grundstück der Familie Schwiderski-Lind, befindet sich auf der anderen Seite des jetzt zugeschütteten Mühlbaches ein schon vor undenklichen Zeiten ebenfalls zugeschütteter Keller. Aus diesem Keller führt ein unterirdischer Gang bis zum früheren Holzschuppen des Wirtshauses Philipp Fritz (seit 1893 Schule, jetzt Wohnhaus der Familie Hans Georg Willa). Der Gang führt also steil bergan. In dem Keller sollen sich noch Geld und ein Fass mit Sauerkraut befinden.

Die weiße Gestalt an der Aubrücke

(Erzählt von Wagner Konrad Högy, geb. 1840, gest. 1917)

An der Aubrücke, das ist die alte aus Basaltbruchsteinen errichtete Brücke hinter dem Anwesen Palitsch/Müller, erschien in früheren Zeiten manchmal nachts eine weißgekleidete Gestalt. Auch der damalige Pfarrer Schwörer, der bestimmt nicht an Gespenster glaubte, sah diese Gestalt, als er spät abends dort einen Spaziergang machte. Diese Gestalt - es war ein Mann - sprach: "Was wandelst du hier im finsteren Tale?". Der Pfarrer antwortete mit dem Spruch: "Ich bin das Licht des Lebens!". Daraufhin verschwand die weiße Gestalt.

Mord und Brudermord an der Silbachseiche (Eine Legende, gekürzt)

Anfang des 19. Jahrhunderts war in Europa viel Volk in Bewegung. Viele Fremde tauchten auch hierzulande auf, ehrenwerte und weniger ehrenwerte. Damals war auch ein 20-jähriger Bursche nach Ruppertsburg gekommen; er hatte pechschwarzes Haar, stechende Augen und ein verwildertes Gesicht. Er brachte einen 14-jährigen Buben mit, den er für seinen Bruder ausgab, den man aber kaum für einen Bruder halten konnte, so ungleich war ihr Äußeres und auch Inneres. Der Bub kam zu einem Köhler in den Wald, um das Kohlebrennen zu erlernen. Der Altere dagegen führte ein unstetes Wildererleben. Er hieß allgemein der Wilbertsknäpper", war bärenstark, weil er - wie es hieß - von jedem Stück Rotwild, das er erlegte, eine Handvoll Wildschweiß schlürfe. Aber bei den Mädchen hatte er kein Glück, sie hatten Furcht vor ihm. Der ehrbare Lebenswandel seines Bruders war ihm ein Dorn im Auge. Eines Tages, als der Bub allein bei der Arbeit war, denn Meister und Geselle hatten eine Fuhre nach dem Städtchen, kam der Bruder und überlistete ihn, mit in den Grund zu kommen. Dort schoss der Wilddieb einen kapitalen Zwölfender, kurz vor der Eiche im Silbachstal. Er brach ihn auf, verscharrte das Gescheide und schlug ihm das Geweih ab, das er im Unterholz versteckte. Den Bub schickte er zur Köhlerhütte eine Leiter zu holen, um die Beute wegtragen zu können. Inzwischen lud er wieder den Stutzen. Als der Bub zurückkam, hatte er Angst und Reue und bat den Älteren, von seinem Tun abzulassen. Dieser ging scheinbar darauf ein, stieß seinen Hirschfänger in die Rinde der Eiche, und beide machten sich auf den Weg. Nach geraumer Zeit schickte der Ältere den Buben zurück, das Messer zu holen. Es könne das schwarze Waidwerk verraten, dem sie beide nun entsagen wollten. Als der Bube das Messer herauszog, krachte ein Schuss, und er sank lautlos am Stamme der Silbachseiche nieder. Der Mörder floh aus dem Land, und es hieß, er sei über den großen Teich gegangen. Und wie das so ist im Leben: Der Bub hatte keine Angehörigen und war bald vergessen. Die Silbachseiche aber rauschte weiterhin und sang ihr uraltes Lied. Nach vielen, vielen Jahren tauchte ein alter, gebrochener Graukopf mit unstetem Blick im Horlofftal auf und verschwand bald im Silbacher Grund. Anderen Tags fand ihn der gräfliche Waldhüter erhängt an der Silbachseiche. So hat er den Brudermord gesühnt. Sein Geist aber, so hieß es im Volksmund, konnte keine Ruhe finden. Wenn der Herbststurm durch die Äste rauscht und die Zweige knacken, wenn die Krone weint und das Alt-laub raschelt, dann kann man den Brudermörder in der Silbachseiche wimmern und heulen hören.